Anreise mit ÖPNV verschafft wahrscheinlich mehr nachhaltige Eindrücke als der gesamte Aufenthalt. Mein Höhepunkt heute: Eine Goldwing mit russischer Volksmusik und beleuchtet wie ein Puff. Leider hab ich vor Begeisterung davon kein Bild.
Wie erwartet ging der Versuch, das Hotel noch in der Nacht zu wexeln, schief. Wir glaubten, besoffen genug für eine Nacht im Retro Moscow zu sein. Im Nachhinein betrachtet, hätten wir lieber einen Polizisten anpöbeln sollen und eine Knastzelle mit Fenster und stabileren Betten bekommen.
In Moskau haben wir uns heute am Platz des Sieges unter die Feiernden zum Stadtfest 869 Jahre Moskau gemischt und die Parade zu MGs 55. angesehen. Vom neuen Wolkenkratzerzentrum Moscow City war ich ein wenig enttäuscht.
Abends ging es mit dem Flugzeug weiter nach Pjatigorsk. Die Anreise war dreimal so lang wie vorgesehen, denn auch hier war heute Stadtfest, in dem unser ortsunkundiger Taxifahrer lange feststeckte.
Die letzten Tage waren großartig, aber ohne Strom und Internet. Im traumhaften Chegem-Tal kurz vor der Grenze zu Georgien nutzten wir bei strahlendem Sonnenschein gemeinsam mit Steinadlern und Gänsegeiern jede Gelegenheit zum Fliegen. Das zu beschreiben, hab ich hier zu wenig Platz. Darum nur ein paar Bilder.
Über eine unbeschreibliche Hochebene mit gigantischen schroffen Felswänden haben wir uns an den Fuß des Elbrus begeben. Die Fahrt war extrem anstrengend. In UAZ-Jeeps schluckten wir kiloweise Staub. Gegen die Hitze war das offene Fenster das kleinere Übel. Von der Zugluft erkältet und dem kalten Regenwetter deprimiert bin ich nun ziemlich angeschlagen. Morgen soll es den ganzen Tag regnen. Danach vier Tage die Sonne scheinen. Also werden wir uns erst übermorgen in Richtung Elbrusgipfel begeben.
Was hätte ich hier alles verpaßt, wenn ich in den geplanten Flieger gestiegen wäre! Bei einem Blini mit echtem Kaviar einen in Leningrad geborenen Neuseeländer, der gerade nach Norwegen ziehen, aber zuvor noch seine Oma in Israel besuchen will hätte ich nicht kennengelernt. Ich hätte beim Warten auf den Konsul nicht erfahren, daß mein russischer Sitzbachbar der Enkel des vor Moskau abgeschossenen deutschen Jagdfliegers Nicolas von Hommer ist. Ich hätte den Kalaschnikow-Laden im Flughafen, der unbrauchbar gemachte echte Kalaschnikows verkauft, nie besucht. Auf die Legionen rücksichts- und manierenloser Chinesentouristen hätte ich allerdings gern verzichtet.
Die positiven Eindrücke dieser Reise überwiegen so stark, daß ich das nächstes Jahr gleich noch mal machen könnte (Interessenten können sich gern bei mir melden!). Aber es gibt da eine Sache, die mir nachhaltig in unangenehmer Erinnerung bleiben wird. Nein, nicht das lausige Zimmer im Retro Moscow, nicht die Salmonellenvergiftung (vom Eis in Moskau?) die uns geplagt hat und auch nicht der unfreiwillige und teure Aufenthalt in Scheremetjewo. Wirklich unangenehm war der Besuch bei einem Muslim, der uns etwas von der Umgebung im Chegem-Tal gezeigt hat. Als wir ankamen mußte seine Frau, die gerade selbst aus der Schule kam, uns unverzüglich Essen kochen. Dabei hatte sie sich unauffällig zu verhalten, durfte uns nicht begrüßen und auch nicht die Speisen reichen. Während der Gastgeber lange mit seinen Waffen prahlte, wurden die Töchter und die Frau im hintersten Zimmer versteckt. Sein Sohn hingegen sollte alle mit paschahaftem Handschlag begrüßen. Beim Essen durfte selbstverständlich nur der Gastgeber anwesend sein. Mein Trinkspruch auf die Gastgeberin wurde zum Eklat und konnte nur abgemildert werden, weil der Reiseleiter schnell versicherte, ich hätte mich versprochen und meinte „Auf DEN Gastgeber!“. Nein verdammt, ich meinte die Gastgeberin und wollte ihr gutes Essen und die liebevoll gedeckte Tafel würdigen! Sollte der Gastgeber nächstes mal wieder ein Alibi für eine zweite Flasche Wodka, die er anschließend allein austrinken darf, brauchen – ich stehe nicht noch mal zur Verfügung. Restetrinken zählt für Allah offenbar nicht als Alkoholgenuß.